E-Bike Antriebskonzepte im Vergleich: Nabenmotor vs. Mittelmotor

E-Bike Antriebskonzepte im Vergleich: Nabenmotor vs. Mittelmotor

Welcher Motor für welchen Einsatzzweck?

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Der Mittelmotor dominiert den E-Bike-Markt. Das kann man in jedem Shop und auf Tour deutlich sehen. Das Aus für die Konkurrenten? Nein. Insbesondere der Nabenmotor bringt sich derzeit wieder kraftvoll ins Spiel zurück. Wir haben die beiden Systeme verglichen und erklären, welcher Antrieb zu welchem Radtyp passt.

Der Motor ist das Herz jedes E-Bikes. Seit Beginn der kommerziellen Serienfertigung von elektrischen Fahrrädern in den Achtziger und Neunziger Jahren haben die Entwickler mit verschiedenen Konzepten und Montagepositionen am Bike experimentiert. Als am sinnvollsten haben sich der Mittelmotor im Rahmen und der Nabenmotor im Hinterrad heraus kristallisiert. Ganz selten sieht man noch E-Bikes, bei denen der Motor in der Vorderradnabe sitzt. In diesem Artikel möchten wir aus gegebenem Anlass einmal die beiden populärsten Systeme vergleichen. Denn mit dem wachsenden Markt für elektrisch unterstützte Gravelbikes und Rennräder sieht man wieder vermehrt E-Bikes mit Hinterrad-Nabenmotor. Auch ein gewisser Leichtbau-Trend trägt zum Popularitätsschub dieses Systems bei.

Das Funktionsprinzip der Systeme

An den Anblick eines E-Bikes mit Mittelmotor hat man sich längst gewöhnt: Der Antrieb sitzt im unteren Zentrum des Rahmens im Tretlager. Und diese Position bewirkt unmittelbar einen seiner Vorteile, denn das Gewicht sorgt für einen niedrigen Schwerpunkt – was der Fahrstabilität eines E-Bikes sehr zu Gute kommt. Dazu bei trägt die Position des ebenfalls schweren Akkus in oder am Unterrohr. Die Kraft des Motors wird im Tretlager eingespeist und über die Kette ans Hinterrad übertragen. Dadurch lassen sich alle Schaltungstypen verwenden, und auch der Service des Bikes (z. B. Radausbau) funktioniert im Prinzip wie bei einem Fahrrad ohne E-Antrieb. Die hohe Akzeptanz des Mittelmotors sorgte für eine rasante Weiterentwicklung. So sieht man an der aktuellen Generation 4 des Performance CX Motor des Marktführers Bosch, was heute technisch möglich ist: Extrem kompakte Bauweise, hohes Leistungsniveau und dank des Magnesiumgehäuses gerade einmal 2,9 Kilo schwer. Aber auch die Mittelmotoren der stärksten Wettbewerber Shimano und Yamaha sind absolut empfehlenswert.

Alle Details zu den besten Mittelmotoren findest du in diesem Magazinbeitrag


Schub aus der Nabe – Power ohne Umwege

Der Name ist Programm: Der Heck-Nabenmotor sitzt in der Nabe, also in der Mitte des hinteren Laufrads. Er gibt seine Kraft unmittelbar ans Antriebsrad ab. Bereits beim Anfahren spürt man, warum Rennfahrer Autos mit Heckantrieb bevorzugen. Man unterscheidet zwei Motortypen, die am ehesten am Nabendurchmesser zu identifizieren sind: Direktantrieb (großer Durchmesser) und Antrieb über ein Planetengetriebe (kleiner Durchmesser). Derzeit bekannteste Vertreter der beiden Varianten sind die Hersteller Neodrives und Mahle. Spürbarer Unterschied (wenn auch minimal): Während sich ein Direktantrieb im Off-Zustand, sowie oberhalb von 25 km/h zu 100% vom Antrieb entkoppelt, bleibt bei einem Getriebe stets ein minimaler Tretwiderstand bestehen. Dafür lässt sich ein Mahle-Antrieb so unauffällig integrieren, dass man ein E-Bike erst beim zweiten Blick als ein solches erkennt. Das ist jedoch nicht der einzige Grund, warum Heckantriebe vor allem bei sportlichen (Straßen)-E-Bikern so beliebt sind. Nabenmotoren gleiten nahezu lautlos durch die Landschaft. Außerdem eröffnet das System beim Thema Leichtbau neue Möglichkeiten (siehe extra Absatz). Bei Direktantrieb-Motoren ist die so genannte Rekuperation ein weiterer interessanter Aspekt. Dieser Motor kann umgekehrt wie ein Dynamo funktionieren. Auf Abfahrten schlägt man damit zwei Fliegen mit einer Klappe: Im Rekuperations-Status bremst der Motor das E-Bike ab und es wird Energie in den Akku zurück gespeist. Sprich, die Reichweite erhöht sich.

Leichtbau ist auch bei E-Bikes möglich

Neben immer bulligeren E-MTBs, zeichnet sich auf der anderen Seite ein kleiner Trend zum Leichtbau ab. Ein Beispiel ist das neue Cannondale Topstone NEO SL Gravelbike. Möglich macht‘s eine Kombi aus dem neuen Mahle X35 Antrieb mit Nabenmotor und schlankem Akku in Verbindung mit einem leichten Rahmen. Die Idee beruht darauf, das Antriebssystem im Off-Modus so widerstandslos wie möglich zu halten, so dass sich das E-Bike zumindest in der Ebene so agil wie ein normales Sportrad fährt. So bringt das Mahle System inklusive Akku gerade einmal 3,5 Kilo auf die Waage. Den gesparten Strom kann man dann an Anstiegen sinnvoll zu Unterstützung einsetzen. Unterm Strich lassen sich mit damit ähnliche Reichweiten erzielen, wie mit herkömmlich dimensionierten Antrieben. Derartige Entwicklungen sind mittlerweile auch im Trekking- und Hardtail-MTB-Bereich zu beobachten.

Was spricht eigentlich gegen den Nabenmotor?

Die Nachteile des Nabenmotors sollen hier jedoch nicht verschwiegen werden. Manche Systeme sorgen für ungünstige Gewichtsverteilung mit Schwerpunkt am Hinterrad. Des weiteren ist der Einsatz von Nabenschaltungen ausgeschlossen. Einzige Alternative zur Kettenschaltung sind (teure) Schaltgetriebe wie das im Rahmen integrierte Pinion-System. An steilen Anstiegen kann ein Nabenmotor an seine Grenzen kommen. Besonders ältere Systeme können die Wärme nicht optimal ableiten und haben mit Überhitzung zu kämpfen. Gegenüber eines Mittelmotors lässt die Leistung dann spürbar nach. Das ist auch einer der Hauptgründe, warum sich Heckmotoren am Mountainbike nicht durchgesetzt haben. Weiterer Wermutstropfen: Bei einer Reifenpanne ist der Ausbau des Hinterrades problematisch und für die meisten Hobbyradler kaum zu bewerkstelligen. Als Notlösung gibt es im Handel geteilte Schläuche, die sich im eingebauten Zustand des Hinterrades einziehen lassen.

Die Vor- und Nachteile der Systeme im Überblick

Fazit

Den Platzhirsch Mittelmotor wird der Nabenmotor sicherlich nicht verdrängen. Schon gar nicht in der Kategorie Mountainbike. Aber auf seinem Spezialgebiet Straße und Gravel ist der Hinterrad-Nabenmotor eine elegante und sportliche Alternative. Das gilt auch für manche Trekking E-Bikes. Das liegt vor allem daran, dass die Entwickler in den letzten Jahren einige Schwachstellen der Naben-Systeme ausgemerzt haben. Wer einmal ein E-Bike mit modernem Hinterrad-Antrieb gefahren ist, wird das lautlose, fast schwerelose Gleitgefühl schnell zu schätzen wissen. Auf der anderen Seite werden auch die Mittelmotoren immer leichter und kompakter, so dass sich auch hier in Zukunft neue Leichtbau-Optionen eröffnen werden. Es bleibt spannend!