Schlaflos in Finnland

Schlaflos in Finnland

Endloser Trailspaß – fast rund um die Uhr

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Im Nationalpark von Iso-Syöte begegnete man bis vor wenigen Jahren höchstens Rentieren. Bis der finnische Bikefreak Pekka Tahkola den Auftrag erhielt, ein beeindruckendes Trail-Netzwerk durch die Wälder zu bauen.

Die spinnen, die Finnen. Dieser Eindruck mag durchaus entstehen, wenn man sich bei der heutzutage üblichen Vorab-Recherche über das Reiseziel durch die Tiefen des Internets klickt. Da liest man über allerlei skurrile Wettkämpfe wie Schlammfußball, Gummistiefel-Weitwurf oder auch das relativ neue Heavy-Metal-Stricken, bei dem die Teilnehmer im Takt zu entsprechender Dampfhammermusik um die Wette nadeln. Immerhin wurde die Sauna-WM inzwischen abgeschafft, nachdem sich einige Teilnehmer freiwillig bei lebendigem Leib zu Tode kochen ließen. Dagegen erscheint das Ritual der Rentier-Kastration, die beim Volk der Lappen früher traditionell durch einen gezielten Biss der Hirten erledigt wurde, geradezu harmlos.

Typisch Finnland: Endlose Wälder, glasklare Seen – und Trails!

Ich kann mich eines unguten Gefühls im Unterleib nicht erwehren, als unser finnischer Bike-Guide Pekka die historischen Schwarz-Weiß-Bilder zeigt, auf denen die alten Bräuche der Einheimischen stolz präsentiert werden. Wir sind im kleinen Museum des Nationalparks Iso-Syöte, wo man die Geschichte dieser Region liebevoll aufbereitet hat. Nach einer Kahvitauko, was soviel wie Kaffepause bedeutet, schwingen wir uns wieder in die Sättel. Eigentlich geht es jetzt nur noch zurück zum Hotel. Denn wir sind auf dem Rückweg von einer kleinen Spritztour, mit der uns Pekka einen ersten Eindruck vom Charakter der Region verschafft hat. Und dieser Eindruck ist tief! Denn so „klein“ die Runde mit ihren 25 Kilometern auch war, so reichlich fluten die Glückshormone durch unsere Körper. Es scheint, als gäbe es in diesen Wäldern nichts als launige Singletrails, mindestens so endlos wie der Wald selbst. Kilometer um Kilometer mäandern die Pfade durch die nordische Wildnis. Und niemand anderes als Pekka selbst hat dieses gigantische Trail-Netzwerk entworfen und mitgebaut. Denn wenn Pekka Tahkola gerade einmal nicht als Guide für das Sporthotel Iso-Syöte unterwegs ist, arbeitet er als eine Art Fahrrad-Wissenschaftler. Zum Beispiel auch für seine Heimatstadt Oulu. Die Stadt am nördlichsten Zipfel der Ostsee ist ein weltweites Beispiel für ein vorbildliches Radwege-Netz. Dass in Oulu übrigens auch jedes Jahr die Weltmeisterschaften im Luftgitarre-spielen ausgetragen werden, überrascht uns weit weniger.

Zitterpartie Duckboards: Nur nicht runterfallen!
Am Iso-Syöte geht’s auch mal steil.

Wie gesagt: Nach unserer Stippvisite im Infocenter führt der Weg eigentlich nur noch zurück zum Basislager. Eigentlich. Denn es gilt zu berücksichtigen, dass unser Hotel genau auf dem Gipfel des höchsten Berges weit und breit thront. Und der ist immerhin 430 Meter hoch, was für finnische Verhältnisse eine seriöse Erhebung darstellt. Seriös genug für ein kleines Skigebiet, respektive einen Bikepark. Generell ist Finnland nämlich ziemlich flach. Plattgedrückt von den kilometerdicken Gletschern der Eiszeit. Der Eispanzer hinterließ mit Iso-Syöte nicht nur den südlichsten Fjell des Landes – so nennt man diese Inselberge -, sondern auch die angeblich 188.000 Seen. Wer auch immer die nachgezählt hat. Ehrlich gesagt sind wir während der finalen Höhenmeter heilfroh über unsere E-Bikes. Und das wird in den kommenden Tagen ähnlich sein. Denn so flach das Land wirkt, so fordernd sind seine Trails.

Weitblicke wie diese muss man genießen, bevor der Trail wieder in den Wald abtaucht.

Als wir am nächsten Morgen starten, steht die Sonne bereits gefühlt im Zenith. Logisch, der Planet ist ja bereits seit zwei Uhr in der Früh wieder am Glühen. An diese endlos langen Tage im finnischen Mittsommer müssen wir uns wirklich erst gewöhnen. Auch der Auftakt der geplanten 40-km-Runde ist etwas Besonderes, in zweierlei Hinsicht: Zuerst schießen wir in feinster Downhill-Manier durch den Park, hinunter an den Fuß des Bergs. Dann lotst uns Pekka über einen neuen, typisch finnischen Streckenabschnitt, wo wir auf schmalen Holzplanken ein Moor durchqueren. Ein Balanceakt, der volle Konzentration erfordert. Nach einer Kletterpassage über den benachbarten Skiberg Pikku-Syöte lassen wir die Zivilisation hinter uns. Es ist ein ungewohntes Gefühl, stundenlang keinen Menschen zu treffen. Die Orientierung haben wir in den endlosen Wäldern längst verloren, wären da nicht die farbig markierten Pfade, die uns geleiten. Mal sandig, mal auf weichem Waldboden, mal über holprige Wurzelteppiche. Dennoch geht selbst Pekka nie ohne GPS-Gerät auf Tour, und das, obwohl er die sporadisch am Weg stehenden Schilder mit unaussprechlichen Hinweisen und Ortsnamen versteht. Für uns wird die Kommunikation ein Rätsel bleiben, denn Finnisch zählt weltweit zu den am schwierigsten zu erlernenden Sprachen. Säkkisenlammit, Puolivälinlampi, Niskavaara, Kellarilampi – immerhin wissen wir gegen Ende der Trailrunde, dass letzteres ein See ist. Kreuz und quer liegen unsere Bikes auf dem Holzsteg, während wir im glasklaren Wasser planschen. Laut Pekka gehört in Finnland ein Bad zu einer Biketour. So, wie die Begegnung mit Rentieren.

Erfrischend: Kellarilampi See
Trail-Maniac: Pekka Tahkola
Gechillt: Rentiere

Während wir am späten Nachmittag hinauf zum Hotel schnaufen, steht die Sonne unverändert hell am Himmel. Über fünf Stunden haben wir für die gut 40 Kilometer im Sattel gesessen. Man muss in Finnland stets berücksichtigen, dass der extrem hohe Trail-Anteil mit unzähligen Geländewellen und Wurzelpassagen aufs Tempo drückt. Aber zum Glück kann man sich dank rund 22 Stunden Tageslicht in Iso-Syöte Zeit lassen. Gegen Mitternacht machen wir noch einen Spaziergang zum Berggipfel, um den nicht-enden-wollenden Sonnenuntergang zu genießen. Es liegt ein mystisches Licht über der Landschaft, als ließe der Himmel pures Gold über die Wälder fließen. Und selbst als der rote Glutball hinter den Horizont gerutscht ist, wird es nicht wirklich dunkel. Theoretisch könnten wir in zwei Stunden wieder aufs Bike steigen. Das ist es, was Finnland so faszinierend macht.

Traumhafte Sonnenuntergänge um Mitternacht. Geisterstunde sieht anders aus!

Infos Finnland/Iso-Syöte

Lage: Iso-Syöte ist das am südlichsten gelegene Fjell Finnlands. So nennt man in Skandinavien einen Berg oder eine Hochebene. Die maximal 432 Meter hohen Berge liegen etwa in der Landesmitte, rund 150 Kilometer südlich des Polarkreises. Die dünn besiedelte Region hat die Anmutung eines Mittelgebirges und ist geprägt von Wald, Seen und Mooren. Iso-Syöte gehört zur Gemeinde Pudasjärvi. Zum Vergleich: Deren 8000 Einwohner verteilen sich auf einer Fläche, die dem Land Luxemburg entspricht.

Anreise: Der nächste Flughäfen ist Oulu an der Ostsee, erreichbar mit Finnair ab Frankfurt, München, Hamburg, Düsseldorf und Berlin. Finnair bietet einen preiswerten Radtransport an (55 Euro pro Strecke). Infos www.finnair.com. Stressfreier ist es aber, ein (E-)Bike im Hotel zu mieten. Transfer nach Oulu – Iso-Syöte per Bus möglich (Do, Fr u. So). Für Gruppen lohnt sich ein privates Taxi.

Wann: Es gilt, den kurzen skandinavischen Sommer auszunutzen, also Juni, Juli und vielleicht noch August. Unser Tipp ist die Periode um die Sommersonnwende (21. Juni), genannt Mittsommer.

Wohnen: Die Möglichkeiten beschränken sich im Prinzip auf das Lapland Bike Hotel (Hotel Iso-Syöte). Infos www.laplandbikehotel.fi. In dem nach einem Großbrand im Jahr 2018 neu aufgebauten Hotel finden Radsportler ein ideales Basislager. Tipp: Organisierte Gruppenreise zu Mittsommer beim Veranstalter www.bikefex.at. Dem Hotel angeschlossen ist eine perfekt ausgestattete Radwerkstatt mit (kostenpflichtigem) Verleih (MTB, E-Bike, Gravelbike). Es werden auch geführte Touren angeboten. Und Alternativprogramme, von Kanutrip bis zum Besuch einer Husky Farm.

Bikestation: Tipps vom Profi
Markant: Tourenbeschilderung
Kontrastprogramm: Kanutrip

Tourenrevier: Du findest in Iso-Syöte eine Mischung aus gebauten Trails, Naturtrails und Abschnitten auf Schotterpisten. Es gibt verschiedene Rundkurse, die mit Farben und Hinweisschildern markiert sind (Kostenlose Übersichtskarte im Hotel erhältlich). Viele Abschnitte sind kombinierbar, so dass man sich nach Belieben kurze und lange Distanzen zusammenstellen kann. Das Netz ist deutlich über 200 Kilometer lang. Achtung: Trotz der Markierungen nie ohne GPS-Gerät auf Tour gehen! Landschaftliche Orientierungspunkte unterwegs sind äußerst rar, man fährt die meiste Zeit im Wald.

Bikepark: Direkt vor der Haustüre des Hotels liegen die 13 Strecken des Bikeparks mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden. Auffahrtsmöglichkeit mit Liften.