Romantische Buchten, türkisfarbenes Meer, kilometerlange Sandstrände, raue Gebirge und abenteuerliche Singletrails. Die zweitgrößte Insel im Mittelmeer ist immer noch ein Geheimtipp für Mountainbiker!
Seit nun mehr fast zehn Jahren fahre ich in den Pfingstferien nach Sardinien. Im Frühsommer hat man die Insel noch fast für sich alleine. Zumindest, wenn man auf dem Mountainbike das Hinterland erforscht. Aber auch die meisten Strände sind in der Vorsaison ziemlich menschenleer. Dabei ist das Klima bereits frühsommerlich warm und das Meer hat an der Ostküste in der Regel um die 20 Grad! Beste Bedingungen also für einen Bike- und Bade-Urlaub, besonders auch mit der Familie. Denn im Hochsommer herrscht im Inland eine schier unerträgliche Hitze. Und sobald in Italien die Sommerferien beginnen (Juli/August), ist an den sardischen Stränden die Hölle los. Erst im September beruhigt sich die Lage wieder und es herrschen bis in den Oktober hinein ähnlich perfekte Bedingungen wie im Frühjahr.
Nachdem ich zu Beginn das Mountainbike nur als „Notlösung“ dabei hatte, um windlose Tage zu überbrücken (meine Leidenschaft ist das Kitesurfen), kam das Bike in den letzten Jahren immer mehr zum Einsatz. Nicht, weil es weniger Gelegenheiten zum Kitesurfen gab und gibt, sondern weil wir immer schönere Touren und Trails entdeckten. Mich fasziniert die Einsamkeit und der raue Charme der Landschaften. Man passiert abgelegene Bergdörfer, wo die Zeit tatsächlich stehen geblieben ist.
Topografie und Bikerevier
Sardinien liegt direkt im Anschluss südlich von Korsika. Die Insel ist etwa 270 Kilometer lang und 150 Kilometer breit. Vom südlichsten Punkt aus (Capo Spartivento) sind es gerade einmal 200 Kilometer bis zur Küste Nordafrikas. Die Topographie ist größtenteils hügelig bis bergig. In der östlichen Mitte liegt mit dem Gennargentu das größte Gebirge. Auf der Punta La Marmora erreicht es 1834 m Höhe. Weitere, kleinere Gebirge verteilen sich über die Insel: Zum Beispiel im Norden die Gallura mit ihren kuriosen Felsformationen, der Supramonte an der Ostküste, oder der Iglesiente im Südwesten. Größere flache Regionen findet man nur zwischen Cagliari und Oristano, sowie an der nordwestlichen Spitze der Insel.
Abseits der asphaltierten Straßen und Wege (mit stark wechselhafter Teer-Qualität) muss man sich auf sehr ruppiges Gelände einstellen. Die Forst- und Schotterwege sind meist grob und holprig, die Trails teilweise technisch anspruchsvoll und verblockt. In diesem Punkt zählt beispielsweise die Abfahrt durch die Gorropu-Schlucht zu den absoluten Herausforderungen (siehe Tourentipps). Flow-Highlight ist hingegen der ewig lange Singletrail zur Cala Sisine, einer der schönsten Trails die ich je gefahren bin. Grundsätzlich muss man auf allen Touren genügend Wasser und Verpflegung an Bord haben, denn die Infrastruktur auf Sardinien ist dünn (kaum Einkehrmöglichkeiten oder Hütten)! Auch trinkbares Wasser ist selten zu finden (Schaf-Weidegebiete!). Neben mindestens zwei Ersatzschläuchen gehört Flickzeug zur Grundausstattung.
Die Fauna ist meist dornig und stachelig. Ich empfehle außerdem, nicht alleine auf Tour zu gehen! Im Notfall kann man sich im einsamen Hinterland nicht auf fremde Hilfe verlassen. Und Mobilfunknetz ist im Outback ebenfalls nicht selbstverständlich. Besondere Aufmerksamkeit gilt den teilweise frei laufenden Hunden! Im Bergland trifft man hin und wieder auf Schafherden, die ausschließlich von Hütehunden im Zaum gehalten werden. Meist bleibt es beim Anbellen von Bikern, doch ich habe auch schon ernstere Attacken erlebt. Seither zählt eine kleine Patrone Hunde-Abwehrspray ebenfalls zu meiner Grundausstattung.
Tipp: Im Zweifel erstmal absteigen und das Bike zwischen sich und den Hund stellen. Nicht in die Augen des Tieres schauen.
Es versteht sich von selbst, dass meine folgenden Touren-Tipps nur eine kleine (aber feine) Auswahl des riesigen Insel-Angebotes sind! Ganz unten findet ihr noch meine Tipps für Landkarten und zwei gute Touren-Bücher. Ich hoffe, dass euch der Bericht schon jetzt den Mund auf einen Sardinien-Urlaub wässrig macht.
Meine Liebligstouren auf Sardinien
Cala Sisine (Ostküste, Gennargentu Gebirge)
Streckendaten: ca. 53 km/1300 Hm.
Die Cala Sisine ist eine von zahlreichen malerischen Felsenbuchten am steil ins Meer abfallenden Ostrand des Gennargentu Gebirges. Der Strand ist am leichtesten erreichbar per Boot vom Ort Cala Gonone aus (Badegäste im Sommer). Der „normale“ Landweg führt als Stichstraße (grober Schotter) vom Golgo Hochplateau ans Meer hinunter (der Rückweg unserer Tour). Highlight für Biker ist jedoch der Singletrail, der von Nordosten her in die Bucht fällt. Die Tour startet am kleinen Campground auf der Golgo Hochebene, am Ende des Asphaltsträßchens, das vom Bergdorf Baunei aus auf die Hochebene führt (beim Restaurant Su Porteddu). Auf einsamen Schotterwegen geht es zunächst hinüber zur Bergstraße SS125, der man für einige Kilometer Richtung Norden folgt. Am Pass Genna Sarbene (754 m) zweigt man rechts wieder ins Gelände ab. In ständigem Auf und Ab schlängelt sich der Schotterweg weiter übers Golgo-Plateau. Das Meer blitzt bald tief unten zwischen den Felsen hervor. Etwa bei Kilometer 30 beginnt das Abfahrtsvergnügen.
Auf dem Trail wechseln sich technische Passagen mit flowigen Passagen ab. Das Panorama über die Steilküste ist dabei stets fantastisch. Nur die letzten paar Hundert Meter des Trails sind so verblockt, dass für die meisten Biker wohl schieben angesagt ist. Ein erfrischendes Bad im Meer lockert die Beine für den finalen Anstieg zurück auf die Hochebene. Tipp: Es gibt sogar eine kleine, sporadisch bewirtschaftete Bar hinter der Bucht (Su Coile). Verlassen sollte man sich aber nicht darauf! Der lose Schotter auf dem Rückweg kostet nochmals richtig Körner (fast 400 Höhenmeter Anstieg!). Definitiv eine der schönsten Touren auf Sardinien!
Gorropu Schlucht (Ostküste, Supramonte Gebirge)
Streckendaten: ca. 28 km/1000 Hm.
Das Teilgebirge Supramonte schließt nördlich an den Gennargentu an. Der karstige Supramonte ist gekennzeichnet von tiefen Schluchten und Höhlen. In der Gola Gorropu ragen die Wände über 500 Meter hoch senkrecht in den Himmel, eine der tiefsten Schluchten in ganz Europa! Relativ bequem zum Fuß erreicht man die Schlucht durchs Tal des Riu Flumineddu (der Schlussteil unserer Tour). Die Schlucht zählt zu den landschaftlichen Highlights Sardiniens, man muss also an Wochenenden durchaus mit einigen Wanderern rechnen! Am besten fährt man die Tour deshalb unter der Woche, früh am Morgen oder am späten Nachmittag.
Wir starten am letzten Parkplatz neben dem Fuss, den man vom Bergdorf Dorgali aus anfahren kann. Ein Asphaltweg führt hinauf zur SS125. Auf der verkehrsarmen Hauptstraße gewinnt man weitere Höhenmeter bis zum Pass Genna Silana (1017 m). Bis hierher kann man sich zum Beispiel auch shuttlen lassen. Oder das Auto oben parken und die Tour direkt an ihrem höchsten Punkt starten. Dann steht zum Ende jedoch noch der Rück-Anstieg zum parkierten Auto an. Am Genna Silana beginnt einer der beeindruckendsten Trail-Downhills die ich kenne. Bedrohliche Felswände bilden die Kulisse, das Panorama ist bestmöglich. Der Pfad endet erst im tiefsten Schlund der Schlucht. Achtung! Man darf sich nicht vom flowigen Beginn des Trails täuschen lassen. Denn im Verlauf wird die Fahrt technisch immer anspruchsvoller und steiler. Also, lieber kein Risiko eingehen und rechtzeitig absteigen und schieben! Einsteigern und weniger versierten Fahrern möchte ich sogar von der Tour abraten. Denn die kompletten 600 Höhenmeter bergab schieben macht definitiv keinen Spaß.
Am Fuß der Schlucht muss man sein Bike über den Fluss tragen (genügend Steine im Wasser). Am anderen Ufer gibt es eine weitere kleine Schlüsselstelle: An einem Seil muss man sich mit dem Bike auf der Schulter ein paar Meter nach oben hangeln, wo wieder ein fahrbarer Weg beginnt. Am besten hilft man sich an dieser Engstelle gegenseitig, dann ist es kein Problem. Der Rückweg folgt auf launigen Trails dem Fluss talauswärts, zurück zum Parkplatz. Auch nochmal sehr schön!
Trails und alte Bergwerke (Westküste, Iglesiente Gebirge)
Streckendaten: Tour 1 ca. 39 km/1250 Hm, Tour 2 ca. 28 km/750 Hm
Ausgangspunkt für diese zwei Touren ist das alte Bergbaudorf Buggerru an der unteren Westküste der Insel. Beide Tracks verlaufen durch eine wilde, grüne Bergregion, wo vor vielen Jahren intensiv Bergbau betrieben wurde. Man passiert immer wieder verfallene Minen, verrostete Fördertürme und Geisterdörfer, die einmal Unterkunft für Bergarbeiter waren. Hauptknackpunkte beider Touren sind die knackigen Anstiege auf übelsten Karrenwegen. Erschwerend kommt hinzu, dass im Frühjahr hier viele Unwetter tobten, deren Starkregen die Wege extrem ausspülte. Und Instandsetzungsarbeiten finden, wenn überhaupt, nur sehr sporadisch und in Zeitlupe statt. Eine weitere Herausforderung auf der längeren Runde ist der ruppige Trail-Downhill von der Punta Bau Mannu zur SS126. Der Auftakt zur kürzeren Runde ist hingegen ein echtes Idyll.
Von Buggerru aus führt ein wunderbarer Singletrail durch die Macchia hinunter zur Traumbucht Cala Domestica. Hier möchte man am liebsten gar nicht mehr weg! Die Weiterfahrt durch eine imposante Schlucht zur Mine San Luigi ist wegen des kaputten Weges dagegen eine Tortur. Lohn für alle Mühen: Am Ende beider Runden rollt man auf fantastischen Panorama-Pisten hinunter ans Meer.
Anreise – So kommt ihr am besten nach Sardinien
Als Camper nehme ich mit meinem Wohnmobil die Fähre von Livorno (nördliche Toskana) nach Olbia (Sardinien Ostküste). Die Fahrt dauert etwa 8 Stunden, es verkehren drei Fähren täglich. Info unter www.moby.it
Wer in Hotels oder Agriturismo (z. B. Bed & Breakfast) unterkommen will, kann aber auch nach Sardinien fliegen. Flughäfen sind in Olbia und Cagliari. Hinzu kommen dann aber noch die Kosten für einen Mietwagen.
Unterkunfts-Tipp: Viele Campingplätze vermieten kleine Wohncontainer oder Bungalows zu recht erschwinglichen Preisen.
Buch- und Kartentipps
- Sardinien, 46 MTB-Touren mit GPS-Tracks, Bergverlag Rother, ISBN 978-3763350216
- Mountainbiken auf Sardinien, 77 Touren zwischen Meer und Bergen, Edizioni Versante Sud, ISBN 978-8898609833
Pflicht für Mountainbiker sind die 3 neuen Kartensets des Kompass Verlags im Maßstab 1:50.000. Sogar Bike- und Fahrradtouren sind dort eingezeichnet, Darstellung in bewährter Qualität:
- Sardinien Nord, ISBN 978-3990441749
- Sardinien Mitte, ISBN 978-3990440636
- Sardinien Süd, ISBN 978-3990441756
GPS-Nutzer finden inzwischen zahlreiche Tracks auf den bekannten Tourenportalen im Web, beispielsweise auf www.komoot.de