Jetzt geht‘s rund: zu Besuch bei TQ-Systems

Jetzt geht‘s rund: zu Besuch bei TQ-Systems

Vor Ort beim Hersteller des starken FlyOn-Motors

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Seit Haibike seine Topmodelle mit dem FlyOn-Motor ausstattet, ist die E-Bike-Welt eine andere. Die Bikes: Zukunftsweisendes Design in Kombination mit bärenstarker Leistung. Die Motor-Technik: Made in Germany von TQ-Systems. Aber wer ist dieser Hersteller, der scheinbar wie aus dem Nichts aufgetaucht ist? Zur Klärung dieser Frage haben wir einmal bei TQ-Systems vorbeigeschaut.

Rückblick Eurobike 2018. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer: Haibike präsentiert – ganz außergewöhnlich – E-Bikes mit einem mysteriösen, neuen Motor. Am Haibike-Stand ist zeitweise kein Durchkommen. Drei, vier visionäre E-Mountainbikes hinter Glas, davor Menschentrauben, die sich an den Scheiben die Nasen plattdrücken. Eigentlicher Hingucker ist der kreisrunde Motor, der sich schon optisch deutlich von allen Mitbewerbern unterscheidet. Ein Blick auf die technischen Daten zaubert dann endgültig ungläubiges Staunen auf die Gesichter. Vor allem das maximale Drehmoment von 120 Newtonmetern ist gewaltig. Ein Turbo-Booster, nicht nur an jeder Steigung.

Ein Haibike mit TQ-Motor auf der Eurobike


Sommer 2019. Spinnt mein GPS-Gerät? Das Navi lotst mich in die tiefste Provinz, durch bayerische Dörfer und vorbei an Kuhweiden. Und so bleibt die Szenerie auch bis zur Einfahrt auf das TQ-Werksgelände. „Gut Delling“ heißt die Adresse, und der Name ist Programm. Die Firma residiert auf einem alten Landgut mit eigener Kapelle. Man mag kaum glauben, dass München gerade einmal 20 Kilometer entfernt liegt. Am Haupteingang werde ich bereits von Marketingmann Kevin Fencil erwartet, der mich zur Einstimmung mit einigen Fakten über TQ-Systems versorgt.

Die Firmengründer Detlef Schneider und Rüdiger Stahl

Aus der Garage zu einem Global Player

Das Unternehmen wurde 1994 von Detlef Schneider und Rüdiger Stahl gegründet. Seither ist aus der Garagenwerkstatt ein Betrieb mit 1650 Beschäftigten erwachsen, die weltweit an 14 Standorten arbeiten, 11 davon befinden sich in Deutschland. Geschäftsfelder sind elektronische Baugruppen sowie Antriebs- und Automatisierungssysteme. Die Einsatzbereiche reichen von Luft- und Raumfahrt bis zu medizinischen Geräten. Ein weiterer Bereich beschäftigt sich mit Robotik. Schaut man sich die runden Servo-Antriebe dieser Greifarme an, scheint der Schritt zum E-Bike-Motor nur logisch.

Der Werksbesuch bei TQ-Systems startet

Jetzt stößt noch Simon Hoffmann dazu, Leiter der Abteilung TQ-E-Mobility, der uns auf der Werksführung begleiten wird. Doch bevor wir die heiligen Hallen betreten dürfen, müssen wir uns präparieren: Lange, weiße Laborkittel auf die Schultern, und an den Schuhen werden spezielle Metallstreifen befestigt, die eine statische Aufladung verhindern. Ich komme mir vor wie Doc Emmett Brown aus dem Film „Zurück in die Zukunft“. Fehlt nur noch der DeLorean samt Fluxkompensator, um in die Zukunft zu reisen. Doch Schluss mit den Gedankenspielen! Die Schleuse öffnet sich.

Platinen werden bestückt

Sofort umfängt uns das Summen der Fertigungsstraßen, wo Platinen im Sekundentakt bestückt werden. Es riecht nach Lötzinn und Kunststoff. Tausende winzig kleiner Bauteile auf Kunststoffbändern laufen von rotierenden Spulen in die Maschinen hinein. Wie an einem Aquarium gewähren Sichtscheiben einen Blick auf den Prozess. Tackernde Nadeln setzen die Lötpunkte so schnell, dass das menschliche Auge kaum folgen kann. „Man sollte gar nicht vermuten, wieviel Elektronik sich im Antrieb eines E-Bikes versteckt“, sagt Kevin Fencil. Zum Beispiel müssen die Daten der Sensoren ständig ausgewertet werden, um die Motorleistung dem Antrieb harmonisch zuzuführen.

Stetige Sicherung der hohen Qualität

Aber nicht alles läuft bei der Fertigung vollautomatisch. ArbeiterInnen schauen durch Mikroskope und checken verschiedene Platinen stichprobenartig. An anderen Plätzen werden Schaltungen am Bildschirm kontrolliert. Bis zum Einbau in den Motor durchläuft eine Platine etliche Qualitätskontrollen. „Höchster Qualitätsstandard ist das oberste Gebot bei TQ-Systems“, sagt Simon Hoffmann. „Das Zertifikat zur Herstellung von Bauteilen für die Luft- und Raumfahrt erhält schließlich nicht jeder.“

Qualitätskontrolle am Bildschirm

Aber wie kam es eigentlich zur Entwicklung eines E-Bike-Motors? Angefangen hat alles mit einem verrückten Motocross-Fahrer, der sich vor 20 Jahren bei „Wetten, dass..?“ von der Garmisch-Partenkirchener Skisprungschanze in die Tiefe stürzte. Dieser deutsche Evel Knievel hieß Toni Roßberger. Und genau dieser Toni Roßberger heuerte später bei TQ-Systems an. Der entscheidende Schritt erfolgte dann im Jahr 2012 mit der Übernahme der Clean Mobile AG, die bereits Mittelmotoren entwickelt hatte, aber insolvent war. Das gemeinsame Know-how von Clean Mobile und Roßberger brachte den neuartigen Pin-Ring-Motor schließlich nach vorne, denn seit 2012 ist der TQ-Motor bereits auf dem Markt, zu sehen an den E-Bikes eines kleinen bayerischen Herstellers.

Erfolgreiche Kooperation mit Haibike

Erst seit der Kooperation mit Haibike wird die Fachwelt endlich auf TQ-Systems aufmerksam. Der Durchbruch auf breiter Front bahnt sich an. „Die Anfragen von weiteren Herstellern häufen sich“, frohlockt Hoffmann. Haibike hat den Motor noch in einigen Details modifiziert, vor allem in puncto Software. Hier kommt wieder das Elektronik-Know-how von TQ-Systems ins Spiel. Die Hausforderung bestand darin, das hohe Drehmoment noch harmonischer auf den Trail zu bringen. Optisch versteckt sich der Motor bei den Haibike-Modellen hinter einer CNC-gefrästen Speichenscheibe. Ein sehr technisches und modernes Design mit hohem Widererkennungswert.

So fährt sich der TQ-Motor

Kein Abschied ohne Probefahrt! Vor meiner Abreise darf ich natürlich noch eine Runde über die TQ-Test-Trails drehen. Diesen vor der Haustüre zu haben, ist ein weiterer Vorteil des Firmensitzes auf dem Land. Also, ab in den nahen Wald. Auf der Anfahrt probiere ich aus, wie unauffällig oder spürbar sich der Motor in mein Pedalieren einklinkt. Im schwächsten Modus ist kein markanter Unterschied zu den bekannten Motoren feststellbar. Bei entsprechendem Pedaldruck schaltet sich der Motor harmonisch dazu. Fährt man schneller als 25 km/h gibt es ebenfalls keine Auffälligkeiten. Der Motor leistet keinerlei Widerstand, aber das hohe Gewicht des Haibikes mit rund 27 Kilo ist dann natürlich extrem spürbar. Selbst bei der kleinsten Steigung hat man mit ausgeschaltetem Motor keinen Spaß mehr. Erhöht man den Modus, spürt man bereits auf der Ebene die unbändige Kraft des TQ-Motors. Bergauf gibt es dann kein Halten mehr.

Ich ertappe mich dabei, wie ich den „Gashahn“ mit einem Grinsen aufreiße. Ab Stufe vier (von fünf) zieht der Motor in Sachen Schub gefühlt an Mitbewerbern wie Bosch, Yamaha und Shimano vorbei.
Aber Vorsicht! Die Power verführt dazu, in schwierigem Gelände über die Verhältnisse zu fahren. So kann man gerade bergauf schon mal die Kontrolle verlieren. Beispiel: Der Motor befähigt den Fahrer, so steile Trails hochzufahren, sodass das Vorderrad steigt. Bringt man nun nicht schnell genug den Druck vom Pedal, kann der Gaul sprichwörtlich durchgehen. Sicher ein Extrembeispiel, aber durchaus möglich. Beim normalen, flüssigen Bergauffahren in Stufe zwei oder drei kommt mir der Motor etwas laut vor. Das könnte aber auch an der Resonanz des Haibike-Carbonrahmens liegen.

Schade, dass die Zeit knapp wird und wir wieder zurück zum Werk müssen. Denn das Heizen mit dem TQ-Motor macht wirklich Spaß.


Mein Fazit

Die Bewährungsprobe auf breiter Front steht für den Aufsteiger noch aus. Es gab bei Haibike bis heute doch einige Lieferengpässe. Aber es steht fest, dass der TQ-Motor eine ernst zu nehmende Konkurrenz für Bosch & Co ist.


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